Interview mit Heinz Obermayer

Lightweight feiert sein Grand-Tour-Debüt

In jeder Firmenhistorie gibt es Meilensteine, die den Weg vom Start-up zum erfolgreichen Unternehmen markieren. Dies kann der erste Produktstart, eine neue Firmenzentrale oder die Entwicklung einer bahnbrechenden technischen Innovation sein – bei Lightweight ist es der erste plötzliche Auftritt auf der großen, internationalen Bühne des Sports.

„Ein Freund rief mich damals an und meinte: ‚Heinz, schalte mal den Fernseher ein. Riis und Ullrich fahren mit deinen Laufrädern.‘“

Die Geschichte von Lightweight hat viele Glanzpunkte. Manche davon sind Produkte des Zufalls, wie das Zusammentreffen der beiden Gründer Rudolf Dierl und Heinz Obermayer aufgrund ihrer ähnlichen Interessen. Andere sind das Ergebnis von jahrelanger, harter Arbeit und viel Hingabe. In den meisten Fällen ist es aber eine Mischung aus beidem: ein Zusammenspiel von Schicksal und Engagement, das eine Revolution im Radsport eingeleitet hat.

„Der große Durchbruch kam mit der Tour de France 1997. Wir waren uns damals gar nicht voll im Klaren darüber, wie gut unsere Räder wirklich sind.“

Mitgründer Heinz Obermayer berichtet aus erster Hand von diesem wegweisenden Glücksmoment: dem Lightweight-Debüt beim wichtigsten Radrennen der Welt.

„Wir hatten vorher keine Gelegenheit, die Laufräder gründlich zu testen. Und plötzlich fuhr damit jemand 100 km/h bergab. Ich hatte bei jeder Etappe schweißnasse Hände. Bis heute weiß ich nicht sicher, woher sie bei dieser ersten Tour unsere Räder hatten.“

Von den ersten Laufrädern, die noch in einer Garage per Hand gefertigt wurden, bis zu deren Einsatz auf den Bergetappen der Tour de France war es für Dierl und Obermayer ein langer Weg. Beide kamen ursprünglich aus der Luft- und Raumfahrtindustrie und befassten sich vor ihrem Einstieg in die Welt der Radrennen mit einem ganz anderen Sport, nämlich dem Pferderennsport. Ihr innovatives Produkt fand jedoch in der eher traditionellen Trabrennszene keinen Anklang. Wieder einmal fügten sich Schicksal und Engagement ineinander, denn die beiden Männer nahmen nun ein noch ehrgeizigeres Ziel ins Visier: Sie wollten Laufräder aus Carbon entwickeln, die den harten Bedingungen professioneller Straßenrennen gewachsen sind.

Ausgestattet mit dem nötigen technischen Know-how, doppelter Entschlossenheit und einem haushaltsüblichen Backofen zum Aushärten der Carbonräder machten sich Dierl und Obermayer daran, für Werkstoffe und Verfahren aus der Raumfahrt eine neue, sehr irdische und von menschlicher Muskelkraft getriebene Anwendung zu finden. Der erste Produkt-Meilenstein war 1990 die ULTEC-Scheibe, ein Laufrad für Triathleten und Zeitfahrer, die die Leistung und Aerodynamik ihrer Bikes verbessern wollten.

Vier Jahre später, 1994, folgte das erste Speichenrad aus Carbon, das auf Anhieb eine UCI-Zertifizierung erhielt, und nur ein weiteres Jahr später der erste Laufradsatz mit Aerofelgenprofil. Damals betrieben Dierl und Obermayer ihr Handwerk, das schon bald den Radsport revolutionieren sollte, noch als Nebenbeschäftigung hinter den Kulissen.

„Bis 1996 hatte ich einen Vollzeitjob und nach der Arbeit baute ich noch bis 20 oder 21 Uhr an den Laufrädern herum“, erinnert sich Obermayer. „Das war eine verrückte Zeit voller Blut, Schweiß und Tränen.“

Im selben Jahr, 1996, mischten Lightweight-Räder bei einigen großen Radsportveranstaltungen erstmals die Konkurrenz auf. Den Auftakt machten die Olympischen Sommerspiele in Atlanta, wo Rolf Sørensen eine Silbermedaille gewann. Es folgten bemerkenswerte Erfolge bei den Weltmeisterschaften und der Vuelta a España und schließlich der große Auftritt auf der wichtigsten Bühne des Radsports: der Tour de France. Der Däne Bjarne Riis radelte damals auf von Dierl und Obermayer handgefertigten Laufrädern zum Gelben Trikot. Damit schrieb er Tour-de-France-Geschichte und stellte quasi „nebenbei“ die herausragende Leistung der damals wenig bekannten Marke unter Beweis.

Riis‘ Triumph war der bislang wohl größte für Lightweight – seinerzeit noch unter dem Namen Hylight –, blieb aber nicht der letzte. Obermayer erinnert sich:

„Die ersten [Profifahrer], die uns damals auffielen, waren Johan Museeuw, Bjarne Riis und Jan Ullrich. In den Anfangstagen rückten schon bald viele weitere nach, darunter Marco Pantani, Mario Cipollini, Lance Armstrong, Jens Voigt, Joseba Beloki, Laurent Jalabert und Erik Zabel. Seitdem kommen unsere Laufräder immer wieder bei allen großen Wettbewerben zum Einsatz – meistens jedoch ohne unser Logo. Vor zwei Jahren gewann Richard Carapaz auf unseren Rädern sogar olympisches Gold.“

1997 siegte ein anderer Fahrer, Jan Ullrich, bei der Tour de France – wiederum mit Laufrädern von Lightweight. Lightweight entwickelte sich nun zusehends zum bestgehüteten Geheimnis im Profi-Peloton, und damit wuchs auch die Nachfrage. Die Gründer verlegten ihren Hauptsitz in einen Bauernhof in der Nähe von München, um die Produktion auszuweiten, dennoch gab es weiterhin eine lange Warteliste für einen Satz Lightweight-Räder. Nach der größten Herausforderung zu jener Zeit gefragt, schießt es sofort aus Obermayer heraus:

„Um ehrlich zu sein, konnten wir kaum mit der Nachfrage mithalten. Irgendwann konnte ich an nichts anderes mehr denken als an Räder, Räder und nochmals Räder. Wenn ich morgens aufwachte, sah ich Räder, und nachts träumte ich davon.“

Nicht nur für Amateurfahrer war es schwierig, die immer begehrteren Laufräder von Dierl und Obermayer zu ergattern. Auch die Profis mussten sich anstellen und wie jeder andere für das Privileg eines Lightweight-Satzes bezahlen – das galt sogar für den großen Lance Armstrong.

„[Armstrong] hatte die Laufräder über Johan Bruyneel, den sportlichen Leiter des US Postal-Teams, bei uns bestellt und wollte gleich mehrere Sätze haben. Wir konnten aber nur einen liefern, weil er keine Vorbestellung getätigt hatte. Die Räder sind reine Handarbeit, und wir konnten nur zwei pro Tag fertigen. Deshalb musste er auf die anderen Sätze warten.“

Armstrongs anschließende Siegesserie bei der Tour de France tat ihr Übriges, die Auftragswarteschlange immer weiter anwachsen zu lassen. Zeitweise mussten sich Kunden ein Jahr lang gedulden, um einen Radsatz zu bekommen. Vor allem aber machten Armstrongs Erfolge die Marke Lightweight nun auch einem außereuropäischen Publikum bekannt. Für Obermayer und Dierl war die Zusammenarbeit mit Fahrern vom Kaliber eines Lance Armstrong ein zusätzlicher Ansporn, über ihre eigenen Grenzen hinausgehen.

„Meiner Erfahrung nach passiert etwas Interessantes, wenn man mit den Besten der Besten arbeitet. Zwangsläufig wird man dadurch auch selbst immer besser, wenn man es wirklich will“, so Obermayer. „Das hat uns in der gesamten Geschichte von Lightweight sehr geholfen. Wer mit den Besten zusammenarbeitet, wird selbst immer besser. Das hat uns motiviert, jeden Morgen aufzustehen und die Dinge noch etwas besser zu machen als am Vortag.“

Diese Motivation führte das Unternehmen zur Blüte, das den Radsport mit jedem weiteren Tag – und jedem weiteren Sieg – ein Stück veränderte. Immer den nächsten großen Coup im Blick, vergaßen die beiden Gründer jedoch nie ihre bescheidenen Anfänge. Obermayer beschreibt es so:

„Lightweight ist seit jener Zeit enorm gewachsen. Damals konnten wir nur einen Radsatz pro Tag fertigen, also zwei Räder – heute sind es über 40 am Tag. Auch unsere Materialien und Fertigungsprozesse sind natürlich inzwischen viel fortschrittlicher als damals. Anfangs verwendeten wir zum Aushärten der Räder noch einen ganz normalen Backofen, und den Schaumkern besorgten wir im Baumarkt. Das war kein Vergleich mit den hochmodernen Prozessen und Materialien, die wir heute bei Lightweight einsetzen, aber auch mit den damaligen Mitteln haben wir immer Qualität produziert.“

Eine Erfahrung, die Lightweight vom ersten Radsatz bis zu diversen WorldTour-Siegen immer begleitet hat, gilt für Obermayer heute noch:

„Man kann viel erreichen, wenn man jeden Tag ein kleines Stück zulegt. Wir haben nie erwartet, dass Lightweight eines Tages so groß werden würde. Das kam nicht über Nacht, aber wir hatten den Willen, jeden Tag etwas zu verbessern. Die Freude daran, um seiner selbst willen besser zu werden und gar nicht so sehr des Ergebnisses wegen, war für mich eine der wichtigsten Lehren“, erläutert Obermayer und fügt hinzu: „Im Rückblick bin ich sehr zufrieden und stolz auf das, was wir erreicht haben. Ein Zitat von damals ist bei mir hängen geblieben: ‚Wer es nicht versucht, findet nie heraus, was möglich ist.‘“

Auf die Frage, wie ihn der wilde Ritt mit Lightweight noch geprägt hat, antwortet Heinz Obermayer mit diesem Schlussgedanken:

„Diese Zeit hat meine Denkweise bis heute geprägt. Immer wenn mich meine Frau bittet, im Haus etwas zu reparieren, frage ich mich als Erstes: Könnte ich das mit Carbon machen?“